Anfangen hat “Streetfotografie” für mich mit diesem Bild, welches ich am 14. Februar 2018 in Hannover aufgenommen habe, als ich an einer Bahnstation auf Bekannte gewartet habe, um mit Ihnen skaten zu gehen. Die Sonne schien, das Wetter war super und im Minutentakt kamen Leute aus der Station. Darunter auch dieses Pärchen. Für mich ist es nach wie vor eines meiner besten Bilder. Schlussendlich habe ich dort auch noch einige Zeit fotografiert – auch als meine Begleitung schon da war. Die Leute, mit denen ich unterwegs war, haben nur gelacht, dass ich so viel Spaß an der “langweiligen Rolltreppe” hätte. Aber denen ist das Lachen dann schon noch vergangen…
Ich betreibe inzwischen vor allem Streetfotografie, weil ich diese Art der Fotografie am liebsten habe. In diesem Beitrag erzähle ich, was aus meiner Sicht wichtig ist und wie ich dieses Gebiet sehe. Es kann sein, dass sich meine Sichtweise von anderen unterscheidet, weil es auf diesem Gebiet viele unterschiedliche Ansichten gibt… Ich versuche Tipps zu geben, wie man anfangen soll und wo es Hürden gibt. Ich versuche meine Erfahrungen weiterzugeben und hoffe, dass sie verständlich sind. Für Anregungen und Feedback bin ich natürlich auch dankbar.
10 wichtige Grundsätze, die Du bei Streetfotografie verinnerlichen solltest
Ich weiß, dass viele Fragen aufkommen, wenn man mit Streetfotografie anfängt. Um Dir einen ersten Eindruck und eine Art “Leitfaden” zu geben, habe ich hier die (meiner Meinung nach) 10 wichtigsten Punkte zur Streetfotografie in kurzen Sätzen zusammengefasst:
- Ausschlaggebend ist nicht die Kamera, um ein gutes Bild zu machen
- Die Ausrüstung ist vollkommen egal, jedenfalls auf der Straße
- Mit mehr Geld kann man keine besseren Bilder machen
- Mit mehr Zeit kann man öfters fotografieren (= bessere Bilder)
- Lernt zuerst die Grundlagen der Fotografie kennen
- Schaut euch viele Bilder an und lernt daraus
- Lernt eure Kamera kennen, bevor ihr damit fotografiert
- Auf der Straße habt ihr oft nur einen Schuss, also seid bereit
- „Wenn ein Bild nicht gut ist, geht näher ran.“ – Robert Capa
- Es gibt kein perfektes Bild, aber danach zu streben ist wichtig
Was ist Streetfotografie?
Grundsätzlich hält die Streetfotografie Szenen aus dem Alltag fest, hat aber nicht zwingend etwas mit Strassen zu tun. Vielmehr heißt sie so, weil der Alltag oft auf den Straßen von Städten stattfindet. Street Fotografie zeigt Menschen in alltäglichen Situationen oder Alltagssituationen in denen Menschen vorkommen.
– Spontane Portraits von Menschen (ungefragt)
– Alltagsszenen & Alltagssituationen
– Street Performance (Straßenkünstler, Bettler, etc.)
– Teilaufnahmen von Menschen (Beine, Füße, etc.)
– Was immer Deinem Auge begegnet…
Was brauche ich, um mit Streetfotografie anzufangen?
– Eine normale, nicht zu große Kamera (ein schneller Autofokus ist wichtiger als ein großer Sensor)
– Ein normales Objektiv (z.B. Festbrennweite mit 35mm oder 50mm) oder ein kurzes, kleines Teleobjektiv (Stichwort:Kitobjektiv!). Street ist nah und große Objektive sind schwer und etwas zu auffällig
– Unauffällige Kleidung (man soll in der Masse untergehen)
– Gutes Schuhwerk (man bewegt sich auch ab und an auf schwierigem Terrain)
– Kein zusätzliches Fotogepäck (Bewegungsfreiheit ist sehr wichtig)
– Musik aus dem Kopfhörer (um abzuschalten)
Für den Notfall kann man noch einen Pfefferspray und die Telefonnummer der lokalen Polizeiwache dabei haben, falls es zu Problemen kommt. Ansonsten hat man ja gutes Schuhwerk – welches helfen sollte, auch schnell Herr der Lage zu werden (durch weggehen oder -laufen).
Wenn Du obige Punkte nun noch einmal liest, siehst Du, dass ich großen Wert auf ein unauffälliges Erscheinungsbild und möglichst wenig “Gepäck” lege. Daher auch die Empfehlung einer möglichst kompakten, diskreten Kamera. Welchen Einfluss dies haben kann, habe ich in meinem Beitrag zur Ricoh GR3 weiter vertieft.
Was macht die Faszination Streetfotografie aus?
Hierzu als Antwort ein treffendes Zitat von Rolf Nobel, Professor für Fotografie an der Uni Hannover:
„Es ist eine sehr ungeschminkte, authentische Fotografie. Man muss sehr schnell auf Momente reagieren, die wie im Flug vergehen. Der Zeitenlauf lässt sich nicht anhalten, wie es in vielen anderen Feldern der Fotografie ist, wo sich Dinge wiederholen. Aber Konstellationen gibt es in der Street Fotografie immer nur ein Mal. Man muss sehr schnell und spontan agieren. Hinzu kommt: Es reicht nicht aus, nur den einen magischen Moment zu erfassen. Der Fotograf muss alle Elemente, die sich in dem Sucherbild bewegen, im Bruchteil einer Sekunde innerhalb dieses Rahmens so ordnen, dass ein gut gestaltetes Bild entsteht. Es ist eine unglaublich anspruchsvolle Fotografie.“
Wie mache ich ein gutes Streetfoto?
Eine nicht ganz einfache Frage. Ich beobachte sehr viel, schaue mir jeden Menschen auf der Straße für einen Bruchteil einer Sekunde an. Ich versuche Szenen im Voraus zu erahnen, versuche Menschen vor interessanten Hintergründen zu sehen, Charakterköpfe zu portraitieren und so weiter. Dazu muss man sehr viel beobachten, jede Person im Blickfeld haben und sich in der Masse bewegen. Einfach nur an einem Punkt zu warten, funktioniert nicht so gut. Die Bildgestaltung ist auch sehr wichtig, denn davon lebt auch ein Street Foto. Ich wage zu behaupten, dass die Bildgestaltung 1/3 des Bildes ausmacht, 1/3 das Motiv und der Rest Belichtung und Technik. Aber jeder sieht das anders…
Wo mache ich am besten Streetfotos?
Die scherzhafte, kurze Antwort: Draußen auf der Straße oder wo auch immer Du Dich grad bewegst.
Scherz beiseite: Ich habe festgestellt, dass je mehr Menschen es an einem Ort gibt, umso mehr interessante Menschen sind dabei. Also kann man in großen Städten und an viel frequentierten Orten die meisten interessant Motive erwarten. Meine Lieblingsplätze sind Bushaltestellen, Zebrastreifen und Einkaufsstraßen. Da wo Leute kurz stehenbleiben müssen, kann man sie einfacher fotografieren, als wenn sie in Bewegung sind. Dies ist vor allem am Anfang wichtig, damit die Bilder auch scharf sind. Vor allem die Anonymität der Großstadt macht es am Anfang einfacher, an die Leute ranzukommen. Große Veranstaltungen und Volksfeste sind auch gute Momente, um sich mit der Kamera an Leute heranzuwagen. Dort wo es viele Touristen gibt, kann man auch viel einfacher fotografieren und fällt weniger auf.
Wie fange ich an?
Ich finde es wichtig, dass man sich von Anfang an bewusst ist, dass das Ziel Fotos mit maximal 50mm sind.
Natürlich sollte man nun nicht erstmal ein 50mm-Objektiv kaufen und anfangen, wenn man dies noch nie gemacht hat. Nehmt ein kurzes Tele aus eurem Bestand und versucht es einfach mal. Ich selbst habe mit einem 14-42mm Kitobjektiv angefangen, was mit dem Crop Faktor der Olympus E-M10 MarkII eine Brennweite von 28-84mm ergibt. Dann kam ich aber immer näher an die Leute ran und habe mich immer mehr an die Brennweiten zwischen 28 und 35 mm gewöhnt. Also verwende ich nun entweder die Ricoh GRIII mit ihren 28mm (umgerechnet) und für die Aufnahme von Szenen und ganzen Personen eine 17mm f1.8 Olympus M.Zuiko Festbrennweite (durch Cropfaktor entspricht das ~35mm) an meiner Olympus E-M1 MarkII. Streetfotografie ist ein Prozess, der langsam geht und man kann nicht an einem Nachmittag lernen, Street zu fotografieren. Außerdem ist es so, dass es auch sehr auf die Tagesform ankommt. Es gibt Tage, da mache ich in einer Stunde 20 gute Fotos und Tage, an denen mir gar nichts gelingt bzw. ich gar nichts „sehe“.
In Farbe oder Schwarzweiss?
Eine Philosophie wie die Frage nach der Kamera. Ich mag es Schwarzweiss oder zumindest stark entsättigt. Es kommt halt darauf an, was drauf ist und ob es im Bild Farben gibt, welche dem Bild das “besondere Etwas” geben. Die großen Meister haben alle in Schwarzweiss gearbeitet (bedenke: damals gab es nunmal auch keine Farbfilme) und deshalb tun es heutzutage viele Fotografen auch. Ich denke, Street in Schwarzweiss hat schon etwas und ich mache 99% meiner Streets aktuell in S/W. Aber es ist Geschmackssache und es gilt, auszuprobieren ob es auch zu Dir und Deinem Stil passt.
Erst fragen oder gar nicht fragen?
Diese Frage über das Fragen wird mir immer wieder gestellt und ich gebe auch immer die gleiche Antwort:
“Wenn Du vorher fragst, wird es in der Regel kein gutes Foto geben. Wenn Du nachher fragst, musst Du ein gutes Foto löschen.” Also frage ich erst gar nicht.
Klar darf man nicht einfach Leute fotografieren, aber das ist genau das Problem der Streetfotografie. Ich denke, dieser Beitrag ginge zu weit, wenn ich nun noch alle Gesetze und Rechte der Leute aufzählen würde. Informiert Euch, was ihn Eurem Land gilt und erlaubt ist. Schätzt selber ab, wie weit ihr gehen wollt. Ich gehe meinen Weg solange, bis einmal einer kommt und ich Probleme bekomme.
Wie weit darf ich gehen?
Die Frage nach Recht und Ethik wird mir ebenfalls immer wieder gestellt. Für mich gibt es keine Grenzen in der Fotografie. Aber jeder muss für sich selber entscheiden, wann er abdrücken soll und wann lieber nicht. Es kommt auch darauf an, wie man jemanden ablichtet. Ich kann keine konkreten Angaben darüber machen, was noch in Ordnung ist und was nicht. Streetfotografie ist kalkuliertes Risiko, ein Spiel mit dem Feuer und auch mit Gesetzen. Aber das macht diese Art der Fotografie aus. Jeder sieht das etwas anders, und ein guter Freund sagte mal zu mir folgendes: “Du machst scheiß gute Bilder! Ich mag auch Street, aber irgendwie ist das bei deinen Bildern wie Porno schauen: Man fühlt sich wegen dem Verlust von Nähe und dem Gefühl schmutzig, dass man eigentlich schon ne unsichtbare Grenze überschreitet.”
Eine Straßenkünstlerin bei der „Arbeit“. Man sieht ihr Gesicht nicht, aber sieht sofort, was sie macht. Nur die Szene um sie ist im Fokus, der Rest nicht relevant. Ich denke, so darf man jemanden darstellen und aus meiner Sicht ist das Bild rechtlich okay, da man sie nicht eindeutig identifizieren kann.
Genaugenommen habe ich mich hier im Nachhinein geärgert, dass ich nicht noch etwas näher an sie ran bin und die Szene direkt über ihre Schulter fotografiert habe.
Was muss ich sonst noch wissen?
Eigentlich nichts. Denn „Übung macht den Meister“ und „Den Mutigen gehört die Welt“. Nimm immer Deine Kamera mit, setze Dir bei den ersten Touren ein Thema. z.B. fotografiere nur Dinge, welche Rot sind oder nur Taschen, Tüten oder Schuhe. Setz Dir eine Einschränkung, damit Du Dich auf etwas konzentrieren kannst. Das mit der Farbe ist sehr interessant und Du wirst mit Erstaunen feststellen, wie viele orangenen Dinge es in einer Stadt gibt. Und wenn Du dann daraus noch Colorkeys machst, kann es eine schöne Serie geben. Und irgendwann kommst Du immer näher an die Leute ran. So nahe, dass sie sich erschrecken, wenn sie plötzlich in Dein 50mm Objektiv blicken. Dann musst Du nur noch abdrücken und weisst, jetzt habe ich es geschafft…
Wann ist man zu nah dran?
Wenn man nicht mehr fokussieren kann weil die Nahdistanzgrenze überschritten wurde!
Nein, ernsthaft: Man kann eigentlich nicht zu nah dran sein – vorausgesetzt, man ist nicht zu nah um wichtige Bildelemente außerhalb des Frames zu haben. Geh also so dicht wie nötig an Dein Motiv heran und halte alles, was Dir wichtig ist, im Bildauschnitt.
Was gebe ich Euch für Tipps?
- Lernt eure Kamera gut kennen, damit ihr sie blind bedienen könnt
- Stellt auf Serienaufnahme und macht jeweils 2-3 Bilder
- Fokussiert bereits, bevor Euch die Person in die Kamera schaut
- Lasst Euch möglichst auf keine Diskussionen ein und geht weiter
- Wenn jemand dies will, löscht das Bild sofort ohne zu diskutieren
- Schaut euch jede Person auf der Strasse kurz aber genau an
- Schaut wie das Licht einfällt, denn dieses hilft bei guten Fotos
- Bewegt euren Körper und nicht den Zoom am Objektiv
- Seid schnell und unauffällig, bewegt Euch in der Masse
- Seid vorsichtig, dass Ihr nicht überfahren werdet (Auto, Bus, Straßenbahn, …)
- Tragt immer saubere Unterwäsche, falls Ihr mal überfahren werdet
- Hört beim Fotografieren Musik von Otis Redding oder Pink Floyd, die entspannt sehr
- Findet ein paar Buddies, welche mit Euch Street fotografieren oder zumindest begleiten
- Tauscht Meinungen und Ansichten über eure Bilder aus
Wie fördere ich meine Kreativität in der Streetfotografie?
- Mach mal nur Bildausschnitte bzw. Details von Menschen
- Spiel mit Schärfe, Bewegung, Perspektive
- Stelle Dir immer wieder neue Aufgaben (Farben, Motive, …)
- Mach immer ganze Serien von Themen/Aufgaben
- Schau Dir Bilder anderer Fotografen an
- Stell Dich mal für 15 Minuten an eine Strassenecke und schau nur zu
- Versuch es mal mit extremer Bildgestaltung
- Halte die Kamera auch mal schräg, verkehrt herum, vom Boden aus
- Nimm Gegenstände mit und integriere sie ins Bild
- Versuch es mal mit extremen Formaten (z.B. Format 1:5)
- Nimm mal ein extremes Weitwinkel und geh ganz nah ran
- Geh auch mal mit einem Makro Objektiv auf die Straße
Das Wichtigste ist die Leidenschaft und der Einsatz, den man für seine Fotos leistet. Alles Andere kommt von alleine. Nicht umsonst steht der Zähler auf meiner Kamera bei über 90.000 Aufnahmen in 3 Jahren. Das ergibt ca. 82 Aufnahmen pro Tag…